Dreißig – Die Weisheit des Alters

„Ja, ich bin dreißig, helfen Sie mir bitte über die Straße …“ so scherzt unsereins dieser Tage. Ich kenne zwei Kategorien von Menschen in diesem Alter: Der fatalistisch-resignierte und der zufrieden-erwartungsvolle Typ.

Der fatalistisch-resignierte zeichnet sich durch eine allumfassende – ubiquitär ist ein wundervolles Wort – Weltuntergangsstimmung aus. Das Leben ist vorbei, die Freuden der Jugend gehören endgültig der Vergangenheit an, beruflich liegt die Zukunft in den Sternen und die ersten Zipperlein haben Premiere. Haben wir selber nicht immer geschworen, niemanden zu trauen, der die magische Dreißig überschritten hat?

Der zufrieden-erwartungsvolle Typ blickt auf die vielen Jahre zurück, freut sich über die unverhoffte Seriosität, möchte eigentlich nicht mehr in die pickeldurchsetzte Ära der Zwanglosigkeit zurückkehren – außer in Gedanken – und stellt fest, daß es ihm retrospektiv eigentlich nie besser ging.

Wir alle werden älter und doch ist das Wissen um den eigenen Alterungsprozeß von besonderer Tragweite.

Wer erinnert sich nicht, als sie im Radio endlich mal wieder gute Musik spielten und diese super-dynamische, total hippe mit Schalleffekten unterlegte Moderatorenstimme uns jäh aus der Schwärmerei riß und dieses hervorragende Musikstück in die „Super-Oldie“-Ecke stempelte?

Damals – das klingt altklug, ich weiß – hüpften wir noch mit hochroten Bäckchen auf Parties herum und waren cool drauf, schweißnasse Hände, Herzklopfen und andere Körpersignale waren noch keine Krankheitssymptome. Und nun das. Oldie. Das ist doch gerade erst … na ja, vielleicht zehn Jahre her?

Das breiige „nst-nst-nst“ aus den Boxen, farbige Sänger, die die Texte großer Klassiker jaulen, als würden sie nach zersprungenen Gläsern bezahlt und hip-hopender Hintergrund zur Befriedigung des sozialkritischen Aspektes reißt uns grausam in die bittere Realität zurück. Musiker, die ihre Instrumente selber spielen können und ihre Titel vielleicht sogar selbst komponieren erscheinen mittlerweile aus dem Reich der Fabelwesen entsprungen.

Der vorsichtig angebrachte Hinweis, ein Lied sei bereits vor Jahren von richtigen Musikern geschrieben worden, stößt bei der Schlaghosengeneration nicht nur auf Desinteresse, viel schlimmer erntet man den Blick, den wir unter dem Arbeitstitel „Was-weißt-Du-schon-Du-bist-doch-schon-länger-nicht-mehr-auf-dem-laufenden“ als ultimative Waffe gegen elterliche Willkür vor dem Spiegel geübt haben.

Apropos Schlaghosen. Ich hatte ja persönlich so sehr gehofft, daß ich ein zweites Mal von dieser Mode verschont bleibe. Ich erinnere mich noch an meine glockenschicken Cordhosen, die sich beim Rennen kaum bewegten und erst dann entsorgt werden durften, wenn der Cord schon durchgeribbelt war. Heute graust's mich vor dieser Erinnerung. Lange Krägen, Pollunder und die passenden Schuhe bedürfen eigentlich keiner gesonderten Erwähnung. Mir bleibt die Hoffnung, daß die heutigen Schlaghosenträger in zehn Jahren mit Grausen die Hosen-auf-Schritthöhe-Fotos betrachten und diesen Fehler nie wieder begehen werden.

Und dann ist da noch die Sache mit der Potenz. Laut Statistik nimmt die männliche Potenz bereits ab dem zarten Alter von 17 oder 18 rapide ab. Ich mag gar nicht daran denken, was ich verpaßt habe! Andererseits habe ich es eigentlich nie bereut, erst mit 21 aktiv geworden zu sein … ich rede mir einfach ein, daß es im reiferen Alter einfach immer mehr Spaß macht und ich es mehr genießen kann – zumindest hilft es.

Meine erste kleine Altersdepression bekam ich durch den Playboy. Natürlich interessierten mich seit jeher nur die Artikel und nicht die nackten Mädels … aber das geht ja allen Lesern des Playboys so. Auf jeden Fall waren die abgebildeten Damen immer älter als ich … diese Tatsache ließ den interessanten Spielraum, wie toll es doch sein mußte, endlich volljährig zu werden, um dann all diese gutaussehenden Frauen auch kennenlernen zu können. Und dann das! Die Playmate war drei Jahre jünger als ich! Ich war geschockt. Da wußte ich endgültig, daß ich etwas verpaßt oder mir fälschlicherweise eingeredet haben mußte.

Oder Boris Becker und Steffi Graf! Da sind zwei Sportler, die für großes Aufsehen sorgen, einen Titel nach dem anderen gewinnen und, ja, sie sind so alt wie ich! Wieder verpaßt. Gut, es soll also eine andere Karriere als die des Profisportlers sein; ehrlich gesagt: nach heutiger Sicht der Dinge bin ich froh, daß ich mich nicht dafür entschieden habe.

Faszinierend ist auch die subjektive Relativitätstheorie. Speziell die Zeit scheint sich derart zu krümmen, daß es mir teilweise graust.

Zu Schulzeiten dachte ich, ich hätte das härteste aller Leben: Viel Arbeit, Hausaufgaben, Klassenarbeiten und das alles unbezahlt! Danach kam die Ausbildung, ich hatte ein ähnliches Lernpensum und unterbezahlte Sklavenarbeit zu verrichten – kleine Übertreibungen seien erlaubt. Dann das Studium: Sinnentleerte praxisferne Theorie wird zu einem Termin gepaukt – und arbeiten muß man obendrein! Rückblickend kann ich nur festhalten: Die Freizeit wird weniger, die Arbeit mehr; ich sollte froh über den Status Quo sein, da die nächste Phase wohl wieder mit weniger Freizeit und mehr Arbeit aufwarten wird!

Ja, ich geb's zu, die Erwachsenen hatten recht. Ich denke an all die Sprüche, die ich gehaßt habe, und muß heute eingestehen, daß ich sie endlich begreife. Nur, um nicht die gleichen Fehler zu begehen, reiße ich mich zusammen, um der nachwachsenden Generation, also den Kindern meiner Freunde und Bekannten, nicht mit dem Klassiker „Kind, bist Du groß geworden!“ zu begegnen! Aber wo's doch stimmt …

Früher bin ich unbeschwert Risiken eingegangen, die ich mir heute nicht mal mehr vorstellen mag. Aber das muß wohl so sein. Ich verspüre keinen dringenden Wunsch, Bungee Jumping auszuprobieren oder mit 300 km/h auf dem Motorrad über die Autobahn zu fegen … und ich find's noch nicht einmal schlimm. Es ist vermutlich wirklich so, daß wir die Hälfte unseres Lebens arbeiten, um Geld zu verdienen und die andere Hälfte das Geld opfern, um unsere ruinierte Gesundheit wiederzuerlangen. Deswegen wünsche ich zum Geburtstag prinzipiell alles Gute und Gesundheit.

In diesem Sinne: Weiteraltern!

Get OpenOffice.org! OpenShortcut.org VApps.org Valid XHTML 1.0 Valid CSS